Aschermittwoch

Alljährlich hören wir die gleiche Bibelstelle aus der Bergpredigt zur Eröffnung der Fastenzeit. Der Evangelist Matthäus ist ein guter Beobachter und Menschenkenner. Vielleicht hat er so manches Beispiel aus dem Erzählschatz seines Meisters Jesus noch zugespitzt. Jedenfalls bringt er das, was ihm bei den frommen Christen seiner Zeit auffällt, gern mit spitzer Feder zu Papier:

Wenn du Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen… wenn ihr betet, sollt ihr nicht an den Straßenecken stehen… Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinschauen   wie die Heuchler…

Es fragt sich allerdings, ob das Evangelium mit seinen Kritikpunkten bei uns heute richtig liegt. Unsere asketischen Übungen sind wohl eher selten das Feld, auf dem wir gesehen werden wollen. Wir blasen dafür keine Posaunen. Aber wir könnten uns ja einmal fragen, welches Fähnlein wir statt dessen vor uns her schwenken, um gesehen zu werden. Vielleicht:

  • das der von wichtiger Arbeit Überlasteten?
  • oder der von Mühsal Beschwerten?
  • der Benachteiligten?
  • der Unersetzlichen?...    oder?

Die mit einer guten Portion Witz vorgetragene correctio des Matthäus lädt uns ein zu einem ehrlichen, aber nicht allzu verbissenen Blick auf uns selbst. Wir sollen dabei keinesfalls sauer dreinschauen…

Dies klingt wie ein Echo auf das Fastenkapitel der Regel Benedikts, der in der vorösterlichen Zeit ebenfalls keine triste Verdrossenheit befördern, sondern die frohe Sehnsucht nach der Auferstehung anfachen möchte: Mit geistlicher Freude und Sehnsucht erwarte der Mönch das heilige Osterfest. (49,7)

Zurück zum Matthäusevangelium:

Das Rezept, das Matthäus (vielleicht deutlicher als die anderen Evangelisten) für den Bekehrungsweg des Christen anbietet, ist das der konkreten Taten.

Wer diese meine Worte hört und sie tut, ist wie ein kluger Mensch, der sein Haus auf Fels baute… Wer aber meine Worte hört und sie nicht tut, ist wie ein unvernünftiger Mensch, der sein Haus auf Sand baute…  (7,24f)

Wer  die Geboten tut…und zu tun lehrt, der wird groß sein im Himmelreich. (5,19).

Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, wie ich meine Umkehr in die Wege leiten kann. Ich kann mich bemühen, meine innere Einstellung zu bereinigen, kann versuchen, mein Herz zu läutern und die bösen Gedanken, die sich einschleichen, an Christus zu zerschmettern. Oder ich kann zunächst einmal (äußerlich) mein Handeln umstellen, jemandem etwas Nettes erweisen oder Nerviges ertragen – auch wenn Herz und Stimme dabei (noch) nicht im vollen Einklang sind.

Selbstverständlich weiß das Evangelium, dass die Anstiftungen für unser Verhalten aus dem Herzen hervorkommen: böse Gedanken: Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugnisse, Lästerungen… all das kommt aus von innen… (Mt 15,19). Und es braucht auch innere Wandlung.

Das Ziel ist klar. Es geht letztlich um den ungespaltenen und heilen Menschen, um die Übereinstimmung von Innen und Außen, von Denken, Reden und Tun.

Aber um dahin zu kommen, setzt Matthäus auf die verwandelnde Kraft der Praxis.

Die Regel Benedikts ist überzeugt, dass genau dieses Konzept aufgeht. Sie übernimmt es:

Wollen wir in Gottes Reich und in seinem Zelt wohnen, dann müssen wir durch gute Taten dorthin eilen. (Prol. 22)

Gottes Weisungen  sollen wir täglich durch die Tat erfüllen. (RB 4,63)

Den guten Eifer sollen die Mönche mit glühender Liebe in die Tat umsetzen. (RB 72,3)…

Und wenn der Mensch sich auf diese Weise redlich den Mühen des Alltags unterzogen hat, dann wird irgendwann auch sein Herz umgekrempelt. Es wird weit, und er läuft in unsagbarem Glück der Liebe den Weg der Gebote Gottes. (Prol 50). Er wird dann alles ganz mühelos, gleichsam natürlich und aus Gewöhnung einhalten… aus Liebe zu Christus, aus guter Gewohnheit und aus Freude an der Tugend. (RB 7,68f)

Allerdings funktioniert die matthäische (und benediktinische) Bekehrungspraxis nicht wie eine Technik oder Methode, die wir uns nur antrainieren müssten. Sie hat sehr wohl eine Voraussetzung, und zwar eine ganz und gar geistliche Voraussetzung. Sie steht unter der Voraussetzung, dass das Reich Gottes im Anbruch ist – und dass der Mensch dem entsprechen soll. Die Bergpredigt kann nur unter einem offenen Himmel gelebt werden, unter dem Vorzeichen, dass der auferstandene Herr alle Tage bis ans Ende der Welt bei uns ist. Die entscheidende Frage ist, ob mein Glaube an Gottes Gegenwart so tragfähig ist, dass ich zu solchem Tun frei werden kann.

Äbtissin Bernadette Pruss, Abtei st. Gertrud, Alexanderdorf