Lazarus, komm heraus!

 Zum 5. Fastensonntag gehört das Evangelium von der Auferweckung des Lazarus. Joh 11,1-43.  Es wird nur von Johannes überliefert. Im Johannesevangelium  ist dieses Wunder der Höhepunkt der Zeichenhandlungen, die mit der Hochzeit zu Kana beginnen, mit der Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda, der Brotvermehrung (Joh 6,1-15) und der Öffnung der Augen des Blindgeborenen eine Linie verfolgt: Jesus Christus offenbart sich als der, der die neue Wirklichkeit, das neue Leben von Gott, „von oben“, wie es im Johannesevangelium immer wieder heißt, in die Welt bringt. Schrittweise wird deutlich, von Zeichen zu Zeichen stärker, dass Jesus Christus das menschliche Leben umwandelt, wo er es berührt. Die Hochzeitsgäste in Kana feiern mit dem neuen Wein, den der Herr schenkt, das neue Hochzeitsmahl (Joh 2,1-12) dem Lahmen verleiht der Herr neue Bewegungsfreiheit durch die körperliche Heilung, aber auch durch die Sündenvergebung. (Joh 5,9.14) – und bringt die Pharisäer gegen sich auf.  Durch die Brotvermehrung erhalten die Menschen, die sich dem Wort des Herrn geöffnet haben, neues Leben, - das sie aber als solches nicht erkennen.(Joh 6,1-15) Der Blindgeborene darf den Herrn sehen, mit den Augen des Leibes, aber auch mit der Seele (Joh 9,1-41) Alle diese Zeichen offenbaren das „Angebot des Lebens, das Jesus macht, aber sie bleiben dem, der nicht sehen will, gleichzeitig auch verborgen. Und lösen so den Konflikt im Volk Gottes aus.

Auf die Spitze getrieben wird diese Entwicklung in der Zeichenhandlung der Auferweckung des Lazarus.  Jesus hätte seinen Freund  von dessen Krankheit heilen können. Ausdrücklich betont das Johannesevanglium, dass Jesus rechtzeitig davon erfuhr. Aber „diese Krankheit führt nicht zum Tode sondern zur Verherrlichung Gottes, damit der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.“ (Joh 11,4)

Wie soll man das verstehen? Wäre es nicht barmherziger gewesen, Maria, Martha und auch Lazarus das Leid der Todeserfahrung zu ersparen? Lässt Jesus hier erst einmal Leid zu, damit er sich dann um so strahlender als Sieger über den Tod, als Held erweisen kann? Eben verherrlicht wird, auf Kosten der „Opfer“?

Auf der Oberfläche der Erzählung könnte man wohl so denken, das weiß auch Johannes, denn er zitiert als misstrauische Anfrage der Juden: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb?“ (Joh 11,37). – Ja, das hätte er, aberJesus selbst erklärt seinen Jüngern, dass es um eine tiefere Eben des Geschehens geht, um viel mehr als darum, dass der Ablauf des „normalen“ Lebens nicht gestört wird: „Lazarus ist gestorben. Und ich freue mich für euch, dass ich nicht dort war; denn ich will, dass ihr glaubt!“( Joh 11,16f). „Wer an mich glaubt, wird leben!“ (Joh 11,25f)

Jesus will also mit dem Zeichen an Lazarus viel mehr schenken als den Gesundheitszustand des Lazarus wiederherzustellen, denn „jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben!“(Joh 11,26)

So schildert Johannes die Auferweckung des Lazarus als Kampf Jesu mit dem Tod, hier an dieser Stelle ist von der Erschütterung und den Tränen Jesu die Rede, nicht mehr in der Passion, die Johannes als Thronbesteigung des Königs von Israel darstellt.

Und zwar ruft Jesus den Lazarus mit seinem machtvollen Wort aus den Fesseln des Todes, er „schreit“ den Lazarus an: Komm heraus! Unwillkürlich muss man an Ps 18 (17) denken: „Mich umfingen die Fesseln des Todes“ (18,5) , „die Bande der Unterwelt umstrickten mich, über mich fielen die Schlingen des Todes“ (18,6) . „Da ließ der Herr den Donner im Himmel erdröhnen, der Höchste ließ seine machtvolle Stimme erschallen!“ (Ps 18,14) Ebenso ruft Jesus den Lazarus ins Leben, ausdrücklich schildert der Evangelist dabei, dass Jesus ganz in der Übereinstimmung, in der Einheit mit dem Vater handelt: „Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast! (Joh 11,41)“ Aber nicht nur Lazarus, auch die, die dieses Zeichen sehen und verstehen, empfangen Leben, das in Ewigkeit nicht nicht endet, denn das Zeichen soll den Glauben an Jesus als das Leben schlechthin wecken „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ sagt der Herr zu Martha (Joh 11,25)

Lassen auch wir uns heute, am 5. Fastensonntag vom Herrn herausrufen aus den Fesseln, die unser Leben beengen und uns von ihm in das neue Leben Seiner Auferstehung rufen, dass schon hier in dieser Welt beginnt, immer da, wo wir auf seinen Ruf hören!

 

Sr. Placida Bielefeld, Abtei Mariendonk