Dein Leben will singen

 

Und jemand muss singen,

Herr,

wenn du kommst!

Das ist unser Dienst:

Dich kommen sehen und singen.

Weil du Gott bist.

Weil du die grossen Werke tust,

die keiner wirkt als du.

Und weil du herrlich bist
und wunderbar,

wie keiner.

Mit diesen Worten im «Gebet des Klosters am Rand der Stadt» formuliert Silja Walter treffend, was unsere Kernaufgabe als Benediktinerinnen im Kloster am Rand der Stadt ist: Den Herrn kommen sehen und singen. Die Feier der Liturgie hat in einem Benediktinerinnenkloster seit jeher einen hohen Stellenwert, ja höchste Priorität. «Hört man das Zeichen zum Gottesdienst, lege man sofort alles aus der Hand und komme in grösster Eile herbei. Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden.» (Regel Benedikt RB 43,3). Mahnt uns der heilige Benedikt in seiner Regel. Die Gebetszeiten strukturieren denn auch den benediktinischen Tag. Sie geben ganz im Sinne Benedikts den «Takt» an, wenn er schreibt: «Es gelte, was der Prophet sagt: „Siebenmal am Tag singe ich dein Lob.“ Auch in der Nacht lasst uns aufstehen und ihn preisen.» (RB 16,1.5). Heute stehen wir im Fahr zwar nicht mehr mitten in der Nacht auf, aber unser Tag beginnt morgens um 5.20 Uhr mit der Vigil. Die frühen Morgenstunden sind geeignete Zeit für das Gebet und die Meditation. Während viele Menschen in überfüllten Zügen oder im Stossverkehr zur Arbeit fahren, dürfen wir das Lob Gottes singen. Welch ein Geschenk! Fünf weitere Gebetszeiten, verteilt durch den Tag, geben einen wohltuenden Rhythmus zwischen Arbeit und Gebet.

In seiner Regel beschreibt unser Ordensvater Benedikt ausführlich die Ordnung der Gottesdienste. In elf Kapiteln gibt er klare Anweisungen, welche Psalmen und Texte in welcher Reihenfolge zu singen bzw. vorzutragen sind. Nach detaillierten Ausführungen sprengt Benedikt am Ende des 18. Kapitels den Rahmen der Ordnung: «Wir machen ausdrücklich auf folgendes aufmerksam: Wenn jemand mit dieser Psalmenordnung nicht einverstanden ist, stelle er eine andere auf, die er für besser hält.» (RB 18,22). Ja, von dieser Grösse Benedikts können wir auch heute immer wieder lernen! Beim Gottesdienst geht es nicht um das Absolvieren eines Pensums, sondern darum die Beziehung zu Christus zu vertiefen. Wie oft vergessen wir im Gedränge des Alltags, in den täglichen Herausforderungen und Aufgaben, dass Gott da ist?! Der gemeinsame Gottesdienst soll uns helfen in die Gegenwart Gottes zurückzukehren und darin zu leben. Benedikt erinnert uns im Kapitel 19 der Regel: «Überall ist Gott gegenwärtig, so glauben wir, und die Augen des Herrn schauen an jedem Ort auf Gute und Böse. Das wollen wir ohne Zweifel ganz besonders dann glauben, wenn wir Gottesdienst feiern. Denken wir daher immer an die Worte des Propheten: „Dient dem Herrn in Furcht. Singt die Psalmen in Weisheit. Vor dem Angesicht der Engel will ich dir Psalmen singen.“ Beachten wir also, wie wir vor dem Angesicht Gottes und seiner Engel sein müssen, und stehen wir so beim Psalmensingen, dass Herz und Stimme in Einklang sind.» (RB 19) «Singen» ist eine mögliche Ausdrucksform des Gebets. Singen im Gottesdienst ist mehr als das Vortragen eines Liedes. Singendes Beten befreit, belebt, erfreut und stärkt Herz und Seele. Singen kann heilende Wirkung haben.

 Die vor drei Jahren verstorbene Nonne und Dichterin, Silja Walter OSB, spricht in vielen ihrer Texten vom «Singen». Sie weiss wovon sie spricht, hat sich doch selber über sechzig Jahre als Benediktinerin in unserer Gemeinschaft gelebt: Singen ist eine zutiefst spirituelle Gotteserfahrung, welche wir nur schwer in Worten ausdrücken können. Silja Walter hatte die wunderbare Gabe, ihre Gotteserfahrungen verdichtet in Worte und Metaphern zu fassen. So zum Beispiel wenn sie im Hymnus «Nacht» das sehnsuchtsvolle, nächtliche Wachen in folgende Worte kleidet:

Herr und Gott,
die Lichter schwinden,
deine Kirche wacht.
Wer dir singt,
der wird dich finden;
du wohnst in der Nacht.
Lass uns ein.
Du allein
kannst uns Licht
in deinem Dunkel sein.

«Wer dir singt, der wird dich finden!». Singen ist wie das «Oel in der Lampe». Die klugen Jungfrauen im Evangelium wachen und halten Oel in ihren Lampen bereit. Sie gehen dem Bräutigam mit brennenden Lampen entgegen, wenn er kommt. Sie finden ihn. Ihr Singen, ihr Oel, lässt sie nicht müde werden.

Die Begegnung mit Gott erweckt Freude und Lebendigkeit. Diese Gotteserfahrung will singen und weitergetragen werden. Dies verdichtet Silja Walter im «Tarzisius-Lied», dem Gesang der Ministranten:

Ich trag dich in mir,
schon lange,

schon lang,

ein Leuchten wie Licht,

wie leiser Gesang.

Drum lauf ich und sing ich
und trag dich
mit mir.

 Silja Walter hinterliess uns einen reichen, kostbaren Schatz an Texten. Ihre Worte bereichern unsere Liturgie im Kloster Fahr. Wir singen ihre Hymnen im Stundengebet und verschiedene Gemeindelieder aus dem KG, die aus ihrer Feder stammen, bereichern unsere Gottesdienste. Immer wieder inspirieren uns ihre Texte neue Gottesdienstelemente zu erproben. So z.B. entstand aus dem «Gebet in der Nacht» eine berührende Form der «liebenden Aufmerksamkeit» mit Schuldbekenntnis und Hymnus zur Komplet:

Der Tag verlöscht
und alles was ich tat.

Soweit es Liebe war,

bleibt er für immer strahlend da.

Das andere, mein Herr,

Geliebter,

Gott,

mach vor dir ungeschehen

in deinem alles wissenden Erbarmen.

 

Die Nacht steht wie ein Zelt
um alle Welt.

Ich höre, wie du darin zum Menschen sprichst,

der im Schweigen auf dich lauscht.

Du redest jetzt zu mir,

wie es dir nie gelang,

weil ich dich nicht vernahm,

tagsüber im Getriebe.

 

Stille – Schuldbekenntnis, danach wird die dritte Strophe als Hymnus zur Komplet gesungen:

 

Dank sei dir, Christus, Herr mein Heil,

mein Licht,

für diese dunkle, reine stundenlose Nacht,

in der ich ruhen kann in dir

mit allem, was ich bin und lieb und leide,

mit allen und mit allem,

was du mir gabst und mein ist,

alles ist auch dein.

Behüte es für dich,

Geliebter.

Amen.

 Der folgende österliche Text macht deutlich, dass singendes Gebet nicht aus eigener Kraft möglich ist, sondern durch die verwandelnde Kraft der Auferstehung Christi, Sein Leben will in uns singen.

Dein Leben will singen

Grösser als alle Bedrängnis
ist deine Treue, Herr.

Du sprengtest unser Gefängnis,

du bringst uns das Neue, Herr.

Dein Leben will singen
aus Tod und Misslingen.

Halleluja. Lobet Gott.

Dich kommen sehen und singen, das ist unser Dienst!

 Priorin Irene Gassmann OSB, Kloster Fahr