Über den Jordan gehen

«Über den Jordan gehen» - diese Redewendung steht für Übergänge im Leben. Wir alle sind immer wieder gefordert aufzubrechen, Vertrautes zu verlassen und neue unbekannte Wege zu beschreiten. Das ist nicht immer einfach. Veränderungen verunsichern, lösen Ängste aus. Wir wissen nicht was kommt, und wie es sein wird. Häufig malen wir uns das Schlimmste aus. Aber das Schlimmste ist ja nicht die ganze Realität! Es kann ja durchaus auch besser kommen!

Bei uns im Kloster Fahr gab es in den letzten Jahren verschiedene Veränderungen. Wir sind mehrmals „über den Jordan gegangen“. Ich denke zum Beispiel an die Neuorganisation unserer Gottesdienste vor 7 Jahren. Wir haben seit 7 Jahren im Kloster keinen Priester und somit nicht mehr jeden Tag eine Eucharistiefeier. Oder die Schliessung der traditionsreichen Bäuerinnenschule im letzten Jahr. All dies sind einschneidende Veränderungen. Veränderungen, die noch vor nicht allzu langer Zeit unvorstellbar gewesen wären. Und ich bin mir sicher, es wird sich - bedingt durch die Altersstruktur der Gemeinschaft - auch in den kommenden Jahren vieles verändern. In all diesen Umbruchzeiten ermutigte und inspirierte mich die Geschichte von Mose und den Kundschaftern aus dem Buch Numeri immer wieder.

Ich lade Sie ein, zu entdecken wie Mose und das Volk Israel mit Veränderungen umgehen. Die Israeliten sind aufgebrochen aus Ägypten und gehen den Weg durch die Wüste. Sie stehen vor dem Übergang in das unbekannte, gelobte Land. Das Volk ist ungeduldig, müde und versinkt in Resignation. Mose schickt eine Gruppe aus, um zu schauen was sie dort auf der anderen Seite des Jordan erwartet. Mose sagte: „Zieht von hier durch den Negeb, und steigt hinauf ins Gebirge! Seht, wie das Land beschaffen ist und ob das Volk, das darin wohnt, stark oder schwach ist, ob es klein oder gross ist; seht wie das Land beschaffen ist, in dem das Volk wohnt, ob es gut ist oder schlecht, und wie die Städte angelegt sind und ob das Land fett oder mager ist, ob es dort Bäume gibt oder nicht. Habt Mut, und bringt Früchte des Landes mit!“ (Num 13,17-20)

Mose schickt also Kundschafter voraus um das unbekannte Land zu erkunden. Er gibt den Auftrag: Bringt Früchte mit.

Nach vierzig Tagen kehren die Kundschafter zurück, berichten, was sie gesehen und gehört haben: „Wir kamen in das Land, in das du uns geschickt hast. Es ist wirklich ein Land, in dem Milch und Honig fliessen, das hier sind seine Früchte. Aber das Volk, das in dem Land wohnt, ist stark und seine Städte sind befestigt und sehr gross.“ (Num 13,27-28)

Und jetzt geschieht, was auch uns oft passiert, wenn es um Veränderungen geht. Das Schlimmste was eintreten könnte wird ausgemalt. Angst macht sich breit, der Mut schwindet und die Früchte werden nicht mehr gesehen. Wir lesen hier: „Die Männer, die mit Kaleb nach Kanaan hinaufgezogen waren, sagten: Wir können nichts gegen dieses Volks ausrichten; es ist stärker als wir. Und sie verbreiteten bei den Israeliten falsche Gerüchte über das Land, das sie erkundet hatten und sagten: Das Land, das wir durchwandert und erkundet haben, ist ein Land, das seine Bewohner auffrisst; alle Leute, die wir dort gesehen haben, sind hochgewachsen. Sogar Riesen haben wir dort gesehen. Wir kamen uns selbst klein wie Heuschrecken vor, und auch ihnen erschienen wir so.“ (Num 13,31-33).

Wo bleiben hier die Früchte, welche die Kundschafter gesehen und mitgebracht haben? Angst vor dem Unbekannten lässt die Kundschafter klein werden, wie Heuschrecken kommen sich diese Männer vor. In diesem Zustand fehlt jeder Mut, um weiter zu gehen. Resignation breitet sich und das ganze Volk fängt an zu murren.

„Alle Israeliten murrten über Mose und Aaron, und die ganze Gemeinde sagte: Wären wir doch in Ägypten oder wenigstens hier in der Wüste gestorben!“ (Num 14,2 ff).

Murren drückt nieder. Murren entmutigt und vergiftet die Atmosphäre. Das wusste auch unser Ordensvater der heilige Benedikt. In seiner Regel finden wir das Wort „Murren“ öfters als „Beten“. Die Mönche sollen nicht murren, mahnt der heilige Benedikt immer wieder.

Murren entsteht oft in kleinen, alltäglichen Dingen. So lesen wir im Kapitel 40 der Benediktsregel „Vom Mass des Getränkes“: „Wo aber ungünstige Ortsverhältnisse es mit sich bringen, dass nicht einmal das oben angegebene Mass, sondern viel weniger zu bekommen ist (vom Wein), sollen die Brüder, die dort wohnen, Gott preisen und nicht murren. Dazu mahnen wir vor allem: Man unterlasse das Murren.“ (RB 43,8-9).

Murren – vergleichen mit anderen, klagen über das was fehlt, über den Mangel, das bringt uns nicht weiter. Es macht unzufrieden, es lähmt und nimmt die Freude und Mut.

Wird heute nicht auch viel gemurrt, in der Kirche in der Gesellschaft, ja wir selber? Wir beklagen in der Kirche den Priestermangel, die leeren Kirchenbänke, in den Klöstern den Nachwuchsmangel und und und. Das alles lähmt, lässt uns in Resignation fallen.

Statt murren, so mahnt uns Benedikt, sollen wir Gott preisen!

Wir sollen nicht beim Mangel stehen bleiben. Sondern danken für das was möglich ist, die Früchte entdecken, die vorhanden sind. Das befreit und weitet den Blick.

Zurück zur Geschichte im Buch Numeri:

„Josua der Sohn Nuns, und Kaleb, der Sohn Jefunnes, zwei von denen, die das Land erkundet hatten, zerrissen ihre Kleider und sagten zu der ganzen Gemeinde der Israeliten: Das Land, das wir erkundet haben, dieses Land ist überaus schön. Wenn der Herr uns wohlgesinnt ist und uns in dieses Land bringt, dann schenkt er uns ein Land, in dem Milch und Honig fliessen. Lehnt euch nur nicht gegen den Herrn auf! Habt keine Angst vor den Leuten in jenem Land. Denn der Herr ist mit uns!“ ( Num 14,5-9)

 

Der Herr ist mit uns! Vertrauen wir dieser Zusage? Wie oft denken wir nicht daran. Vergessen, dass Gott mit uns ist. Im Matthäus Evangelium sagt uns Jesus: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Trauern wir dieser Verheissung Jesu wirklich? Er ist mit uns, immer und überall und in allem was geschieht. Gott ist aber oft so anders, als wir uns vorstellen, als wir erwarten. Papst Franziskus erinnert uns immer wieder daran, dass wir uns von Gott überraschen lassen sollen.

„Öffnen wir unsere Augen dem göttlichen Licht!“ (RB  Prol 9) Das lehrt uns der heilige Benedikt. Gott suchen, seine Gegenwart, sein Mit-uns-sein wahrnehmen in unserem Alltag.

Nicht mit dem Schlimmsten rechnen – Realistisch bleiben ja, aber nicht murren sondern die Früchte erkennen. Sich freuen über das was möglich ist. Denn in diesen Früchten liegen die Samenkörner der Hoffnung, die uns Kraft und Mut geben.

Priorin Irene Gassmann, Kloster Fahr