Die Lästigen geduldig ertragen

 Manchmal liest man etwas, und unter vielen Worten fällt ein Wort auf, trifft zu und meint das eigene Leben. So ging es mir mit der Verkündigungsbulle zum „Außerordentlichen Jahr der Barmherzigkeit“, das wir dieses Jahr feiern. Der Papst nennt dort neben den leiblichen Werken der Barmherzigkeit auch die geistigen Werke der Barmherzigkeit, und über den Satz „Die Lästigen geduldig ertragen“ stolperte ich, wurde nachdenklich: Wäre das nicht ein Motto für das nächste Jahr, etwas, was man mitnehmen und woran man sich reiben könnte?

Aber wer sind „die Lästigen“? Offenbar geht es nicht um Feinde, um Menschen, die schuldhaft anderen schaden, sondern um etwas viel Alltäglicheres, um Menschen, die unangenehme oder peinliche Verhaltensweisen zeigen, die entweder langweilig oder zudringlich sind, auf jeden Fall aber so, dass man leise seufzt, wenn sie einem über den Weg laufen. Lästig ist der Bekannte, der mir auf der Straße ungefragt seine politischen Ansichten mitteilen will und meint, er wüsste als einziger, wie die Welt zu retten ist; lästig sind Menschen, die zum hundertsten Mal von ihren Problemen erzählen wollen, ohne dass ich den Eindruck habe, dass sie selbst irgend etwas ändern wollen; lästig sind Leute, die lange Emails mit Anfragen schreiben, wobei sich das, was sie wissen wollen, leicht im Internet finden ließe... die Beispiele könnte man leicht vermehren. Lästige Menschen sind lästig, weil es viel Zeit kostet, sich mit ihnen zu beschäftigen, und einen oft das Gefühl beschleicht, diese Zeit sei vertan, man könnte weit Besseres tun.

Damit sind wir beim Thema Barmherzigkeit. Barmherzigkeit hat immer mit Zeit zu tun, besteht darin, Zeit zu schenken und zugleich dem anderen Zeit zu lassen, Zeit zum Wachsen, Zeit zur Umkehr, Zeit zur Reue. Und was vielleicht genau so wichtig oder noch wichtiger ist, mir selbst die Zeit zu nehmen, genauer hinzusehen und zu erkennen, warum dieser Mensch, den ich spontan als lästig empfinde, geliebt und liebenswert ist. Das kann ich nur, weil Gott mir diese barmherzige Liebe vorlebt, er, der sein Volk Israel, auch als es sündigt, nicht verlässt: „Vierzig Jahre lang ertrug er sie in der Wüste“ (Apg 13,18), und weil ich das Vorbild Jesu habe, von dem uns berichtet wird, dass er an seinen Jüngern manchmal fast verzweifelte: „O du ungläubige und unbelehrbare Generation! Wie lange muss ich noch bei euch sein und euch ertragen?“ (Lk 9,41). Nicht nur die anderen sind lästig, sondern auch ich bin lästig: für die anderen, aber vor allem für Gott! Ich bin ihm lästig durch meine Unbelehrbarkeit, durch meine halbherzige Umkehr, durch meine zerstreuten Gebete, durch meine oft so kleine Liebe. Ich bin ihm lästig, weil ich mich Christin nenne und mich dennoch wie all die anderen verhalte, die noch wenig von Christus gehört haben, weil ich sage, dass ich glaube, aber mein Verhalten von dem prägen lasse, was alle tun, und nicht vom Wort Gottes.

Wie geht Gott mit uns um? Er tut genau das, was dieses Werk der Barmherzigkeit uns empfiehlt, er erträgt uns. Ertragen hat mit tragen zu tun, damit bei dem anderen zu bleiben, auch wenn er lästig und keine reine Freude ist, es hat mit standhalten zu tun und ist somit schon sehr nahe an Geduld. Gott erträgt uns und er hat mit uns Geduld, ja, der Römerbrief nennt ihn geradezu den „Gott der Geduld“ (Röm 15,5). Er lässt uns Zeit, auf ihn hin zu wachsen, Umwege zu gehen, Fehler zu machen und aus diesen Fehlern zu lernen. Und genau so sollen auch wir einander ertragen (vgl. Röm 15,1; Gal 6,2) und einander immer neu eine Chance zu geben, denn „die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand“ (1 Kor 13,7).

 Äbtissin Christiana Reemts,  Abtei Mariendonk